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EuGH zu Garantiefristen: Nur vertraglich festgelegte Pflichten sind verbindlich 

3 Minuten Lesezeit

In seinem Urteil C-82/24 vom 5. Juni 2025 stellt der EuGH klar: Garantiepflichten, die nicht eindeutig in der Ausschreibung oder im Vertrag geregelt sind, dürfen Bieter:innen nicht nachträglich auferlegt werden. Vor allem dann nicht, wenn sie auf unklare oder strittige Auslegungen nationalen Rechts beruhen. 

Vor dem EuGH: Streit um Garantiefristen im Vergabevertrag 

Eine polnische Auftraggeberin schloss mit einem internationalen Unternehmenskonsortium einen Vertrag über die Modernisierung einer Kläranlage. Später traten Mängel an bestimmten technischen Komponenten (sogenannte „Rekuperatoren“) auf. Das Konsortium tauschte diese zunächst aus, bis es sich beim dritten Defekt weigerte.

  • Der Grund: Die Garantiefrist sei abgelaufen. 
  • Das Problem: In der sogenannten „Garantiekarte“ stand, dass bei nicht geregelten Fällen die einschlägigen Bestimmungen des polnischen Zivilgesetzbuchs gelten. Nach diesem Gesetz beginnt bei Austausch mangelhafter Teile die Garantiefrist neu. Diese Regelung stammt jedoch aus dem Kaufvertragsrecht und war weder ausdrücklich vereinbart noch Teil der Ausschreibungsunterlagen. 

Unklare Ausschreibung, unfaire Nachforderungen? 

Dürfen nationale Richter:innen nachträglich gesetzliche Regelungen auf einen Bauvertrag anwenden, wenn diese nicht eindeutig in den Ausschreibungsunterlagen oder im Vertrag stehen? 

Urteil des EuGH: Keine versteckten Pflichten durch nationale Normen 

Der Gerichtshof stellt klar: Bieter:innen müssen in der Lage sein, die relevanten Vertragsbedingungen vor Abgabe ihres Angebots klar zu erkennen. Dazu zählt insbesondere, welche Risiken sie (etwa durch Garantieverpflichtungen) wirtschaftlich einkalkulieren müssen. Eine bloße Verweisung auf nationale Vorschriften, deren Anwendung fraglich oder umstritten ist, reicht nicht aus. 

Wenn eine Regelung nicht ausdrücklich in der Ausschreibung oder im Vertrag enthalten ist, darf sie auch nicht über Umwege (z.B. analoge Anwendung des Kaufrechts) nachträglich eingeführt werden. 

Relevanz für Unternehmen: Schutz vor überraschenden Garantieanforderungen 

Viele Bieter:innen kennen die Problematik: Die Ausschreibung enthält pauschale Verweise auf nationale Normen, ohne deren Bedeutung konkret zu benennen. Oft wird auf diese Weise einseitig die Rechtsauslegung des Auftraggebers „nachgeschoben“, wenn es zu Streitigkeiten kommt. Mit dem aktuellen Urteil schafft der EuGH hier Rechtssicherheit.  

Konkret bedeutet das:  

  • Versteckte Anforderungen sind unzulässig: Sie dürfen nur für Pflichten haften, die eindeutig in der Ausschreibung und dem Vertrag festgehalten sind. 
  • Achtung bei Verweisen auf nationale Rechtsvorschriften: Diese müssen konkretisiert und verständlich beschrieben werden. 
  • Transparenz schützt vor Wettbewerbsverzerrung. Internationale Bieter:innen müssen die gleichen Chancen haben wie inländische und das ist nur bei vorhersehbaren Regelungen möglich. 

Fazit: Mehr Rechtssicherheit für Bieter:innen im Vergabeverfahren 

Dieses EuGH-Urteil stärkt die Position aller Unternehmen im Vergabeverfahren. Es schützt vor überraschenden Nachforderungen und stellt klar, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung nur durch volle Transparenz gewahrt werden kann.