EuGH stärkt Bieterrechte: Schadenersatz bei Verlust der Zuschlagschance
Unternehmen, die sich an öffentlichen Vergabeverfahren beteiligen, investieren nicht nur Zeit und Geld, sondern auch strategische Ressourcen in ihre Angebote. Werden Bieter:innen jedoch zu Unrecht ausgeschlossen, stellt sich die Frage: Kann der daraus resultierende Schaden ersetzt werden, auch wenn keine Gewissheit über einen Zuschlag besteht?
Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bringt Bewegung in diese bislang restriktiv gehandhabte Frage und erweitert die Möglichkeiten für Unternehmen, Schadenersatz geltend zu machen.
Bisherige Rechtslage in Österreich: Anspruch nur bei sicherem Zuschlag
Nach österreichischem Vergaberecht haben Unternehmen Anspruch auf Ersatz der Teilnahme- und Angebotskosten, wenn ein qualifizierter Vergabeverstoß vorliegt – der sogenannte Vertrauensschaden.
Wird darüber hinaus nachgewiesen, dass ein Unternehmen den Zuschlag tatsächlich hätte erhalten müssen, kann auch das Erfüllungsinteresse inklusive entgangenem Gewinn ersetzt werden. Kein Ersatz war bislang jedoch vorgesehen, wenn lediglich die Chance auf einen Zuschlag durch einen rechtswidrigen Ausschluss verloren ging.
EuGH-Entscheidung C-547/22: Verlust der Zuschlagschance ist Schaden
In der Entscheidung C-547/22 INGSTEEL stellte der EuGH klar, dass auch der Verlust der Chance auf Zuschlagserteilung als ersatzfähiger Schaden anzuerkennen ist.
Konkret bedeutet das: Wurde ein Unternehmen rechtswidrig von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen, kann es Schadenersatz für den Verlust der Teilnahmechance fordern – unabhängig davon, ob es den Auftrag tatsächlich erhalten hätte. Der EuGH betont, dass nationale Rechtsordnungen diesen Schaden jedenfalls nicht vollständig ausschließen dürfen.
Wie wird der Schaden bewertet?
Der entstandene Schaden wird nicht pauschal, sondern anhand eines realistischen Erwartungswerts bemessen. Entscheidend ist, ob das Unternehmen auf Basis objektiver Kriterien – etwa durch seine Marktstellung, Leistungsfähigkeit oder frühere Erfahrungen mit vergleichbaren Aufträgen – eine konkrete Chance auf den Zuschlag hatte. Die Höhe des Schadenersatzes orientiert sich dabei am Anteil dieser realistischen Erfolgsaussicht am gesamten Erfüllungsinteresse.
Handlungsempfehlungen für Unternehmen
Die Entscheidung bringt eine neue Dimension in den Rechtsschutz für Bieter:innen. Unternehmen sollten künftig:
- Unrechtmäßige Ausschlüsse nicht hinnehmen, sondern rechtzeitig Nachprüfungs- oder Feststellungsanträge stellen.
- Ihre realistische Chance auf einen Zuschlag dokumentieren, etwa durch Marktdaten oder frühere Erfolge bei ähnlichen Verfahren.
- Potenzielle Schadenersatzansprüche prüfen lassen, auch wenn kein eindeutiger Zuschlagsanspruch besteht.
Fazit: Mehr Rechtsschutz für Bieter:innen
Mit der Entscheidung in der Rechtssache INGSTEEL stärkt der EuGH die Rechtssicherheit und den effektiven Rechtsschutz im Vergaberecht. Unternehmen, die durch Vergabefehler um ihre Chance auf einen öffentlichen Auftrag gebracht wurden, erhalten dadurch erstmals ein rechtliches Instrument, um den entstandenen Schaden geltend zu machen – erstmals auch dann, wenn der Zuschlag nicht mit Sicherheit zu erwarten gewesen wäre.